von Regine Reichwein
Ich habe an anderer Stelle geschrieben, dass ein Gefühl von Wut in einer Person entsteht, wenn ihr ein schon oft gespürter oder sogar geäußerter bedeutsamer Wunsch wieder einmal abgeschlagen wird. Ein Gefühl von Hass weist auf etwas anderes hin.
Siehe dazu auch meinen Huff.Post-Artikel: DIE URSACHEN VON HASS UND WUT IN DEUTSCHLAND.
Hass ist meiner Ansicht nach ein Gefühl, welches den Wunsch beinhaltet, etwas zu vernichten. Da wir soziale Wesen sind, bedeuten uns Beziehungen zu anderen Menschen sehr viel.
Wenn eine Person
etwas sagt oder tut, was ich intensiv ablehne und wodurch ich eine große Distanz zwischen mir und einer anderen Person empfinde, dann werde ich möglicherweise auch ein Gefühl von Hass in mir
spüren.
Ich möchte das, was mich und die andere Person trennt, vernichten, denn erst dann kann ich mich dieser Person wieder nahe fühlen. In diesem Sinne ist Hass ein Gefühl, mit dessen Energie man etwas Trennendes zwischen sich selbst und anderen vernichten will.
Leider richten wir den Hass manchmal auf die ganze Person, statt nur auf das „trennende“ Verhalten. Je nach dem werden wir uns unterschiedlich äußern und dann auch unterschiedlich verhalten:
Während Wut auf einen immer wieder unerfüllten Wunsch hinweist, der nun endlich erfüllt werden soll, damit die Person sich wieder zufrieden fühlen kann, bedeutet ein Gefühl von Hass, dass die
sozialen Beziehungen nicht in Ordnung sind. Es geht darum, die eingetretene gefühlsmäßige Distanz zwischen den Menschen wieder zu verringern, indem das Trennende vernichtet wird.
Wenn eine Person ein von Gefühl von Hass empfindet, bedeutet dies, dass sich der Hass nicht auf eine andere Person richtet, sondern auf das Trennende zwischen ihr selbst und ihrem Gegenüber. Es
ist dieses Trennende, welches beseitigt oder vernichtet werden soll, damit die soziale Beziehung zum Gegenüber wieder als befriedigend erlebt werden kann.
Leider ist uns dieser Unterschied meistens nicht bewusst, wir haben meistens die Tendenz, die Person zu hassen und nicht das, was sie getan hat oder tut.
Insofern ist es von außerordentlicher Bedeutung, dass die beiden Gefühle – Wut und Hass – wahrgenommen und ernst genommen werden, denn erst dann kann die Person dafür sorgen, dass sie selbst aktiv wird, sowohl um ihre Wünsche zu äußern, als auch um etwas gegen das Trennende in ihren sozialen Beziehungen zu tun. Leider kann man das immer nur versuchen und es gibt keine Garantie dafür, dass die Versuche auch gelingen. Nur gibt es auch keine Garantie, dass die Versuche misslingen, insofern hat man in jedem Fall die besseren Chancen für ein Gelingen, wenn man es wenigstens versucht.
Um allerdings in der Lage zu sein, sich aktiv an der Gestaltung seiner eigenen Umwelt zu beteiligen, braucht man wohl die Hoffnung auf ein Erfolgserlebnis und damit ein funktionierendes Belohnungssystem im eigenen Gehirn. Dabei spielt die Belohnungserwartung im Zusammenhang mit dem Neurotransmitter Dopamin eine große Rolle. Genaueres kann man unter anderem bei www.dasgehirn.info bei den entsprechenden Schlagworten nachlesen.
Es scheint so zu sein, dass es zumindest einer Hoffnung auf ein Erfolgserlebnis bedarf, damit sich das Belohnungssystem aktiviert. Und das bedeutet für viele Kinder eine große Hürde.
Sie haben
nach vielen Misserfolgen in Schule und Familie oft keine Hoffnung mehr auf Erfolgserlebnisse oder versuchen, ihre Leistungen in anderen Gebieten z. B. bei Computerspielen zu kompensieren. Neben
vielen anderen Wissenschaftlern hat sich auch der Hirnforscher Gerald Hüther in einem Interview entsprechend geäußert.
Mich interessiert hier jedoch eher die Frage nach der Entwicklung der Gefühle von Wut und Hass. Einleuchtend ist inzwischen sicher, dass die fehlenden Wunscherfüllungen nach Anerkennung, Wertschätzung, nach Wirkung und Bedeutung zu einem immer größeren Defizit und entsprechender Wut führen können.
Wenn bei einem Kind der Schmerz darüber, die eigenen existenziellen Wünsche nicht erfüllt bekommen zu haben, sehr groß ist, wird dieses Kind versuchen, sich gleichgültig zu machen. Sätze wie „Ist mir doch egal“ oder die bekannte „Nullbock-Haltung“ sind Anzeichen dafür. Das immer größer werdende Defizit verstärkt dann die Haltung von Gleichgültigkeit. Die Kinder und Jugendlichen machen den Eindruck, als seien sie unberührbar geworden und vielleicht ist es ihnen in manchen Fällen bis zu einem gewissen Grade auch gelungen. Das kann man von außen nicht erkennen.
Solange diese Unberührbarkeit anhält, ist der Kontakt zu den Schmerzen des Defizits meist unterbrochen und damit oft auch der Kontakt zu den aus der Vergangenheit stammenden
Gefühlen von Wut und Hass.
Ab und an jedoch können die Gefühle von Wut und Hass durchbrechen und in unkontrollierten Gewalttaten ausagiert werden.
Meistens stehen wir dann fassungslos vor den
resultierenden Geschehnissen und begreifen nicht, wie solche gewalttätigen Handlungen zustande kommen können.
Die Defizite an wertschätzendem Kontakt, an Erfüllungen der existenziellen
Bedürfnisse, an Erfolgserlebnissen und an Erwartungen auf weiteren Erfolg sind daher sehr gefährlich.
Meiner Ansicht nach werden die Konsequenzen bis heute unterschätzt, sonst würde die Notwendigkeit, Kindern mit der entsprechenden Achtung vor ihrer Autonomie und der notwendigen Wertschätzung
ihrer jeweiligen Besonderheit zu begegnen, längst ein viel größerer Bestandteil in Erziehung und Ausbildung.
Die Jugendlichem, die sich dem IS angeschlossen haben, leiden meiner Ansicht nach besonders an solchen Defiziten. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind ihnen ihre existenziellen Wünsche nicht
ausreichend erfüllt worden. Dadurch werden Menschen verführbar durch solche, die ihnen die Erfüllung ihrer existenziellen Wünsche versprechen und ihnen auf verschiedene Weise signalisieren:
Wenn ein Mensch eine solche intensive Bestätigung für sich als einzigartige Person erhält, kann er sich leisten, sich den Schmerz des alten Defizits zusammen mit der zugehörigen Wut und dem Hass
auf diejenigen, die ihrer Ansicht nach die Wunscherfüllungen verweigert haben, bewusst zu machen.
Und diese Wut und dieser Hass befähigen sie, sich so grausam gegenüber all denen zu verhalten,
die sie als Stellvertreter derjenigen, die angeblich das Defizit erzeugt haben, ansehen können.
Die Erfahrungen, die diese Menschen gemacht haben, sind nicht mehr zu ändern. Menschen können jedoch lernen, diese als Teil ihrer Vergangenheit zu akzeptieren. Sie können begreifen, dass ihnen
solche Erfahrungen ermöglichen, Verständnis, Empathie und Mitgefühl dafür zu entwickeln, was es heißt, ein Opfer von anderen zu sein.
Auf der Grundlage dieser veränderten Sichtweise können neue Umgangsweisen mit diesen Gefühlen gelernt werden.
Die bedeutsamste Frage an diese gewalttätig gewordenen Menschen könnte deshalb
sein, was ihnen von anderen angetan wurde, dass es sie immer noch schmerzt und deshalb Gefühle von Wut und Hass in ihnen aktiviert.
Ich mag mich mit dieser Prozessbeschreibung irren. Vielleicht entwickeln sich Gewalttätigkeit und Grausamkeit auch aus ganz anderen Gründen und wahrscheinlich braucht es zusätzliche Faktoren bei den einzelnen Menschen, die ausschlaggebend für ihr zerstörerisches Verhalten werden. Ich weiß es nicht. Ich weiß aber aus Gesprächen mit vielen Menschen, wie groß ihre Wut und ihr Hass sind, weil sie sich von vielen anderen Personen schlecht behandelt, missachtet, bedroht, gedemütigt, entwürdigt, nicht zugehörig und nicht respektiert gefühlt haben.
Insofern denke ich, dass es sinnvoll ist, sehr vorsichtig, aufmerksam und akzeptierend mit anderen Menschen und sich selbst und mit den eigenen inneren Prozessen umzugehen.
©Autorenrechte Regine Reichwein